Mehr als "nur" Corona
Über die Hintergründe - Insolvenz des Branchenriesen
Deutschlands größtes Friseurunternehmen, die KLIER HAIRGROUP GmbH mit Hauptsitz in Wolfsburg, steht in den Schlagzeilen.
Bereits im September hatte das Unternehmen eine Sanierung im Schutzschirmverfahren begonnen.
„Oberstes Ziel ist es, neben der Fortführung und Neuaufstellung des Unternehmens, möglichst viele Salons und Shops und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu erhalten“, so hört man aus der Zentrale.
Durch den Lockdown im Frühjahr brachen in den Salons alle Einnahmen weg. Es ging diesem Unternehmen nicht anders als allen anderen Friseuren auch.
BILD berichtet von einer „Zurückhaltung der Kunden“ nach Wiedereröffnung, die zu weiteren finanziellen Engpässen beigetragen habe.
Offensichtlich kommt, ebenfalls Corona bedingt, auch das Discount-Konzept im Friseurhandwerk an seine Grenzen.
Bei diesem Unternehmenskonzept steht der Preis im Vordergrund.
Wenn bei einer Friseurdienstleistung etwas billiger werden soll, funktioniert das nur durch Einsparungen, Optimierung der Auslastung und der Arbeitsabläufe.
Discounter sind FAST Friseure ( Fast = schnell )
• Leistung auf den Grundnutzen reduziert – Haare kürzen, fertig!
• Keine feste Zielgruppe = Ziel ist einzig der Umsatz
• Ergebnisorientiert – schneller Umsatz, Kosten sparen, kein Service
• Selten spezielle Dienstleistungen wie Welle, Hochstecken, Festfrisuren
• Kein Treueverhalten von Kunden erwartet – wer kommt der kommt.
• Kunden müssen je nach Preissegment gewisse Mängel tolerieren
Discounter oder Fast – Friseure müssen nicht unbedingt negativ gesehen werden. Aber man muss wissen, es ist ein anderes, abgespecktes, Angebot.
Der Aufwärtstrend der Friseurdiscounter
vollzog sich im Wesentlichen zur Jahrtausendwende. In dieser Zeit präsentierten ZV und IKW eine repräsentative Verbraucherumfrage mit erschreckenden Fakten:
59% der Verbraucher waren mit dem Frisurenergebnis beim Friseur nicht zufrieden – meist ging es um die Fönfrisur.
69% der Verbraucher empfanden das Preis-Leistungsverhältnis deshalb zu teuer.
„Friseur in Action“ nannte sich die nachfolgende Kampagne der Verbände, und sollte zu Verbesserungen beitragen.
Die meisten Friseure ignorierten die Kritik, während einige wenige neue Dienstleistungen schufen. Den Cut & Go zum Beispiel.
Die, bei Kunden verpönte, Fönfrisur entfiel.
Dadurch wurde Zeit zu Gunsten des Preises eingespart und ein – aus Kundensicht - attraktives Angebot geschaffen. Zum Ärger vieler Mitbewerber.
Menge mal Preis
ergibt den Umsatz, das Prinzip des Discounts. Funktioniert allerdings nicht mehr, wenn die notwendige Menge (Kundenzahl) nicht vorhanden oder nicht praktikabel ist.
Jetzt, mit Abstandsregelungen und weiteren Hygienevorschriften, funktioniert das Ganze nicht mehr.
Das Unternehmen KLIER
wurde bereits 1948 in Sachsen gegründet, expandierte immer weiter. 2008 wurde die Friseurkette „Essanelle Hair Group AG“ durch die „Saxonia Holding-Gesellschaft mbH & Co. KG“, deren Geschäftsführer Joachim und Hubertus Klier sind, übernommen. Zum Unternehmen gehör(t)en außer den KLIER Filialen die Ketten „styleboxx“, „Hairworld“, „Cut & Color“, „SUPER CUT“, „Hair-Express“. Hinzu kommen 130 Läden und Shops für Haarprodukte.
Kritik an Mitarbeiterführung und Arbeitsbedingungen
schaukeln sich in Situationen, wie der jetzigen, natürlich hoch. Die Meinungen früherer Mitarbeiter/innen sind deutlich kontrovers.
Fakt ist: in früheren Jahren fiel KLIER des Öfteren durch hohe Lohnversprechen bei der Suche nach neuen Mitarbeitern auf.
Als ich (Rene Krombholz) vor einigen Jahren mit Stern TV, NTV, WELT, Stern und anderen die Lohnsituation im Friseur-Discountbereich recherchierte, relativierte sich dieses Bild. Erwartet wurde für den überdurchschnittlichen Lohn, ein entsprechend hoher Umsatz.
Eigentlich kaufmännisch vollkommen OK… allerdings war der Lohnfaktor mit 4,0 bis 4,5 recht hoch und mit den damaligen Preisen nur schwer zu erwirtschaften.
Im Jahr 2013 beantwortete KLIER mir Fragen zu diesem Thema. (nachzulesen hier)
Wo die Umsatzziele nicht erreicht wurden, erfolgten Rückstufungen im Lohn / Verkürzungen der Arbeitszeit, so dass nicht wenige Mitarbeiter als geringfügig Beschäftigte tätig waren und sich ihren Lohn aufstocken lassen mussten. Der Haarschnitt wurde staatlich subventioniert.
Hierbei, so zeigte sich, war KLIER aber eines der noch gemäßigten Unternehmen.
Auch positiv die Bereitschaft seitens Michael Klier diese Thematik öffentlich in STERN TV zu diskutieren.
9.000 Mitarbeiter und eine straffe Hand
So ist es kein Wunder, dass KLIER auch beim Arbeitgeber-Bewertungsportal kununu nur mäßig abschneidet.
Mit unzufriedenen Mitarbeitern kann man den heutigen Markt allerdings nicht mehr gewinnen, auch das trug wohl zu den bestehenden Problemen bei.
Die Frage, ob man KLIER hierfür verantwortlich machen kann, möchte ich bewusst offenlassen.
Letztlich haben nicht wenige Kollegen/innen den herkömmlichen, inhabergeführten Salon verlassen und sich bewusst dem Discountbereich zugewandt.
„Dort bekomme ich mein Gehalt wenigstens pünktlich!“ ist einer der oft genannten Gründe hierfür.
Aus der Erfahrung heraus behaupte ich, zu viele Mitarbeiter im Friseurhandwerk sehen die wirtschaftlichen Erfordernisse, aber auch die sich ihnen bietenden Möglichkeiten, als Druck und nicht als Chance.
Das schafft Unzufriedenheit – und letztlich lässt sich ein Unternehmen mit 9.000 Mitarbeitern nur schwerlich „familiär“ führen.
Schatten
warf im Jahr 2011 ein Gerichtsverfahren auf das sonst erfolgreiche Unternehmen.
Weniger Umsatz, weniger Lohn und systematische Bezahlung der Mitarbeiter unter Tarif. Den Sozialkassen seien dadurch Abgaben in Höhe von 67.000 € vorenthalten worden, so sah es die Anklage. Zwei der Drei Unternehmenschefs wurden wegen Sozialbetrugs angeklagt und mussten jeweils 30.000 Euro Strafe zahlen. Ein individueller Vorsatz in den vorgeworfenen Fällen könne den Managern nur schwer nachgewiesen werden, so das Gericht. Wohl auch, weil die als Zeugen geladenen Mitarbeiterinnen, nicht in der Lage waren, den eigentlich für sie gültigen Lohntarif zu benennen.
Bedenklich auch einige Geschäftspraktiken: In umsatzschwachen Zeiten wird von den Beschäftigen erwartet, dass sie unbezahlten Urlaub nehmen.
Nicht mit Ruhm bekleckerte man sich im Sommer 2020, die Klier Hair Group wollte sechs Arbeitnehmervertreterinnen loswerden – und scheitert bereits im ersten Gerichtsverfahren.
Was erstaunt
sind die, in diversen Medien genannten, Umsatzzahlen von zuletzt etwas über 300 Millionen Euro.
Nicht der Höhe wegen, sondern weil der Personalaufwand für das Unternehmen mit lediglich 11,5 Millionen €uro genannt wird. (northdata.de)
Branchenüblich sind im Friseurhandwerk Personalkosten in Höhe von ca. 40% des DL Umsatzes.
Durch Corona wird vieles sichtbar
was vorher nicht sichtbar war, sagt man. So auch hier. Eine nicht immer glückliche Hand in Sachen Mitarbeiter und Arbeitsbedinungen, ein Konzept welches Preisorientiert eher materiell eingestellt ist als emphatisch den Menschen zuträglich, Dinge die sich verketten und jetzt zum Problem werden.
Die Hoffnung bleibt
Nach der aktuell laufenden Eröffnung des Hauptverfahrens wird ein Sanierungsplan bei Gericht eingereicht. Diesem sollen die Gläubiger zustimmen.
Die Insolvenz bedeutet für KLIER nicht das Ende, im Gegenteil.
Mit Hilfe des beantragten Verfahrens könnte sich das Unternehmen in Eigenverwaltung sanieren, neu aufstellen und dann gestärkt wieder im Friseurmarkt tätig sein. Die Unternehmensführung teilt mit, man hoffe, dass die Sanierung gelingt und man schon im Frühjahr die Insolvenz beenden und aus eigener Kraft wieder neu starten könne.
Mit den zahlreichen Auszubildenden die KLIER in den eigenen Salons heranwachsen lässt, eine reelle Chance.
Den meisten Mitbewerbern werden nämlich schon recht bald die personellen Ressourcen fehlen.
Rene Krombholz